Ovid, Met. III 339-405

 

Narcissus und Echo

Der durch seinen Ruf in allen aonischen Städten sehr berühmte Teresias gab dem fragenden [<fordernden] Volk untadelige Antworten. Als erste nahm die blaue Liriope, die Nymphe, die einst von Cephisos mit seinem krummen Fluss umschlungen wurde und der von ihm in den Wellen Gewalt angetan wurde, Proben seiner Glaubwürdigkeit und seines gültigen Spruches. Die wunderschöne Nymphe mit dem vollen Mutterleib gebar ein Kind, das schon damals geliebt werden konnte, und nannte es Narzissus. Als er über es [=das Kind] befragt wurde, ob es [=das Kind] eine lange Zeit des reifen hohen Alters sehen würde, sagte der weissagende Seher [=Teresias]: "[Ja.] Wenn er sich nicht kennt". Die Worte des Sehers werden lange als sinnlos angesehen; der Ausgang, die Sache, das Geschlecht des Todes und die neue Art leidenschaftlicher Liebe bestätigen diese Worte. Denn der Sohn des Cephisos hatte drei mal pro fünf Jahre ein Jahr zu gelegt und er hätte als junger Mann scheinen können: Viele junge Männer und viele Mädchen begehrten ihn, aber so harte Überheblichkeit war in zarter Schönheit: Keine Jünglinge und keine Mädchen berührten ihn. Die redselige Nymphe, die weder jemandem das letzte Wort zu lassen noch als erste zu sprechen gelernt hat, die widerhallende Nymphe Echo, erblickte den ängstliche Hirsche ins Netz Treibenden. Bis jetzt war Echo ein Körper und keine Stimme; dennoch hatte die Geschwätzige keinen anderen Gebrauch des Mundes als sie nun [>jetzt] hat, nämlich das letzte Wort von vielen zurückgeben zu können. Iuno hatte dies gemacht, weil jene [=Echo], als Iuno die oft unter ihrem Zeus liegenden Nymphen ertappen konnte, die Göttin absichtlich mit langer Rede zurück hielt, solange bis die Nymphen flohen. Nachdem die Saturnstochter [=Iuno] dies wahrgenommen hatte, sagte sie: "Es wird dir eine Stimme, mit der ich hintergangen wurde, gegeben werden, von geringer Macht und sehr kurzem Gebrauch; und durch die Tat bestätigt sie die Drohung; sie wiederholt die Stimmen am Ende des Gesprochenen [>des Sprechens] und lässt die gehörten Worte zurückkehren. Als sie also den durch abgelegene Felder schweifende Narzissus sah und erglühte, verfolgte sie verstohlen seine Spur, und je mehr sie ihm folgte, desto näher erglühten die Flammen, nicht anders, als wenn lebenskräftiger Schwefel, um die Spitzen der Fackeln herum aufgestrichen, die Flammen (schon) an sich zieht, wenn sie (auch nur) in seine Nähe gebracht sind. Ach, wie oft wollte sie mit schmeichelnden Worten zu Narzissus herantreten und sanfte Bitten hinzuziehen! Die Natur steht im Weg, lässt nicht zu, dass sie anfängt; aber was die Natur zulässt, ist, dass jene bereit ist, die Laute zu erwarten, zu denen sie ihr Wort zurückschickt. Zufällig hatte der Junge gesagt, der vom treuen Zug der Genossen abgesondert worden war: "Ist hier keiner?" "Einer!" hatte Echo geantwortet. Da staunt er und wendet seine [Sehschärfe>] Augen auf alle Seiten und mit lauter Stimme ruft er: "Komm hervor!" Diese ruft das Gerufte. Er schaut sich um und weil wieder keiner kommt sagt er: "Weshalb fliehst du vor mir?" und sie antwortete ebenso viele Worte, wie er sagte. Er lässt nicht ab und getäuscht durch Widerhall sagt er: "Lass uns hier zusammen kommen!" Und keinem Laut jemals lieber antwortend [nz.] rief Echo zurück: "Lass uns zusammen kommen!" Sie stimmte ihren eigenen Worten selbst zu und den Wald verlassend ging sie, um ihre Arme um seinen ersehnten Hals zu legen. Dieser flieht und fliehend sagt er: "Nimm die Hände weg und lass die Umarmungen! Eher will ich sterben, als dass du Macht über mich hast!" Jene brachte nur zurück: "Du solltest Macht über mich haben!" Verachtet hält sie sich versteckt in Wäldern, bedeckt das beschämte Gesicht mit Laub und lebt seit dieser Zeit in einer einsamen Höhle. Aber dennoch haftet die Liebe und wächst mit dem Schmerz der Abweisung, die wachen Sorgen verzehren den bedauernswerten Körper und die Magerkeit lässt die Haut runzelig werden und der ganze Körpersaft geht in die Luft weg; nur noch die Stimme und die Knochen sind übrig: Die Stimme bleibt; man sagt, dass die Knochen die Gestalt des Steins angenommen haben. Von da an versteckt sie sich im Wald und wird auf keinem Berg gesehen, aber von allen gehört: Es ist der Klang, der in ihr lebt. So hatte er [=Narzissus] sie, so hatte er hier andere aus den Wellen oder Bergen entstandene Nymphen und so hat er vorher Männerbünde getäuscht. Darauf streckte irgendein Verachteter die Hände gegen den Himmel und sagte: "Mag er selbst so lieben, mag er so nicht des Geliebten teilhaftig werden!" Die Rhamnusierin stimmte den berechtigten Bitten zu.