Griechische Sprache

 

Griechische Sprache, Sprache der Griechen, sowohl in der Frühzeit als auch in der attischen, hellenistischen, byzantinischen und modernen Periode. Das Griechische mit seinen zahlreichen Dialekten ist das einzige Mitglied der griechischen Unterfamilie der indogermanischen Sprachen. Die Sprache der Antike unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht vom heute gesprochenen Griechisch. Sowohl das Alt- als auch das Neugriechische wird mit dem aus 24 Buchstaben bestehenden griechischen Alphabet geschrieben, das etwa im 9. Jahrhundert v. Chr. aus dem Phönizischen abgeleitet wurde. Man unterscheidet vier Stufen bei der Entwicklung der griechischen Sprache: Altgriechisch (bis 300 v.Chr.), Koine (300 v. Chr. bis 0), Mittelgriechisch (300 bis 1453) und Neugriechisch (1453 bis heute). Neugriechisch wird heute von etwa 10 Millionen Sprechern in Griechenland sowie von Minderheiten in Bulgarien, den ehemaligen Sowjetrepubliken, Italien und Rumänien gesprochen.

Altgriechisch

Man nimmt an, dass die griechische Sprache bereits um 2000 v. Chr. auf dem Territorium des heutigen Griechenland verbreitet war. Prähistorische Völker, die von Zentral- und Nordasien in die fruchtbareren Regionen weiter im Süden wanderten, liessen sich in verschiedenen Teilen Griechenlands nieder, wo sich unterschiedliche Dialekte herausbildeten: Die vier wichtigsten waren Arkadisch-Kyprisch, Dorisch, Ÿolisch und Ionisch-Attisch.

Der arkadisch-kyprische Dialekt, über den nur wenig bekannt ist, stammt von einer Form ab, die zu mykenischer Zeit zumindest auf dem Peloponnes und einigen der südlichen Inseln gesprochen wurde. Die Entzifferung (1952) der damaligen Silbenschrift, des so genannten Linear B – Aufzeichnungen auf Tontafeln wurden nach 1900 bei Ausgrabungen auf Kreta und dem Festland gefunden –, wies diese mykenische Sprachform als einen Vorläufer des Arkadisch-Kyprischen aus den Jahren 1500 bis 1400 v. Chr. aus. Die Forschungsergebnisse zeigten, dass der Gebrauch der Schriftsprache bei den Griechen bereits viele Jahrhunderte vor ihrem ersten Dichter Homer (2. Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr.) in Gebrauch war.

Der dorische Dialekt, der ursprünglich nur in Nordgriechenland gesprochen wurde, verdrängte später weitgehend das Arkadisch-Kyprische vom Peloponnes und auch von den südlichen Kykladen, Kreta und den griechischen Kolonien in Kleinasien, Sizilien und Italien. Die meisten Gedichte Theokrits aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. sind in diesem Dialekt abgefasst, und auch die Sprache Pindars weist dorische Züge auf. Ÿolisch wurde vor allem in Ÿolien, Thessalien und Böotien gesprochen. Es war die Sprache des Dichters Alkaios, der Dichterin Sappho und dreier Idyllen Theokrits. Das Ionische wurde auf vielen der ägäischen Inseln und an weiten Teilen der kleinasiatischen Küste gesprochen; es findet sich in verschiedenen literarischen Werken des 5. Jahrhunderts v. Chr., allen voran in den Schriften des Arztes Hippokrates und des Geschichtsschreibers Herodot. Der Sprache der homerischen Dichtung ist das Ergebnis einer literarischen Tradition: Die Anfänge liegen im Mykenischen, sie wurden verändert und ergänzt vom Ÿolischen und Ionischen. Ihre endgültige Gestalt erhielt die Sprache mit dem Attischen. In der Dichtung Homers nimmt das Ionische den grössten Teil ein.

Aus dem ionischen Dialekt entwickelte sich das Attische, die massgebende Form des klassischen Griechisch. Attisch war die Sprache Athens und seiner Umgebung, der Region Attika. Es unterschied sich von den anderen ionischen Dialekten vor allem durch seine Kontraktion der Vokale. Aufgrund der politischen Vorherrschaft Athens während und nach dem 5. Jahrhundert v. Chr. und der überragenden Rolle seiner Kunst, Philosophie und Dramen verdrängte das Attische alle anderen griechischen Dialekte und wurde zur wichtigsten literarischen Sprache. Sein Einfluss wurde noch gesteigert, da sich auch die bedeutendsten Persönlichkeiten jener Zeit – die Dramatiker Aischylos, Euripides und Sophokles, die Redner Demosthenes und Platon und die Geschichtsschreiber Thukydides und Xenophon – ihrer bedienten.

Mit den Eroberungszügen Alexanders des Grossen und der Ausdehnung der makedonischen Herrschaft im 4. Jahrhundert v. Chr. erweiterte sich auch das Gebiet der Griechisch sprechenden Bevölkerung vom Festland bis hin zu den Ansiedlungen in Kleinasien. Während dieser – der hellenistischen – Periode wurde der attische Dialekt, der sowohl von den Gebildeten als auch den Kaufleuten und vielen Emigranten gesprochen wurde, zur verbreiteten Sprache im gesamten Nahen Osten. Als sich die Griechen mit anderen Völkern vermischten, war Attisch die Grundlage für eine neue Variante des Griechischen, die Koine. Diese gemeinsame Sprache fand sich schliesslich überall, wo die Griechen ihre Spuren hinterliessen. Koine war die Sprache des Hofes, der Literatur und des Handels überall im hellenistischen Reich.

Koine spaltete sich bald auf: in die gehobene Literatursprache und in die Sprache des Volkes. Die literarische Koine wurde von den herrschenden, gebildeten Schichten gesprochen, die sich bis zur Eroberung durch die Römer aktiv an einem lebendigen, unabhängigen, intellektuellen und künstlerischen Leben beteiligten. Dabei passten sie die Sprache den neuen Erfordernissen an, obgleich sie die grossen Werke früherer Zeiten nach wie vor in Ehren hielten. Diese neuen Erfordernisse zeigten sich vor allem im abstrakten Denken der Philosophie, der Grammatik und der Gesellschafts- und Naturwissenschaften. Gleichzeitig mit diesen Veränderungen ging eine Vereinfachung der Sprache einher: Zahlreiche unregelmässige oder seltene grammatikalische Formen verschwanden, und auch die Aussprache änderte sich. Die musikalische Qualität des reinen Attisch aus Athen ging verloren, Vokalwerte wurden allmählich nivelliert, und die Diphthonge schwanden zu einzelnen Lauten. Auch nachdem Griechenland in den Einflussbereich des Römischen Reiches geraten war (ab 146 v. Chr. römische Provinz), wurde es nicht durch das Lateinische verdrängt, da die beiden Sprachen unterschiedliche Funktionen und Lebensbereiche ausfüllten. Das Griechische genoss im gesamten Römischen Reich ein hohes Ansehen als Bildungssprache.

Die gesprochene Sprache orientierte sich weniger an der klassischen Vergangenheit oder den neuen Strömungen hellenistischen Denkens. Stattdessen wurden Wörter aus dem Vokabular der nahöstlichen Sprachen übernommen, und es gab auch Änderungen im Bereich der Grammatik. Die Koine ist hauptsächlich in Briefen und Papyrusdokumenten überliefert. Nach und nach wurde sie auch von Autoren der unteren Schichten in literarischen Werken verwendet. Die wichtigsten sind die vier Evangelien des Neuen Testaments, die jedoch eine eigenartige Form der Koine mit deutlich semitischen Zügen enthalten.

Im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. gab es unter den Gelehrten Bestrebungen, wieder das reine Attisch des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. zu verwenden. Dieser attizistischen Bewegung war jedoch kein durchgreifender Erfolg beschieden, obwohl sich der Philosoph Galen und der Grammatiker Phrynikus im 2. Jahrhundert für sie einsetzten und Schriftsteller wie Lukian das reine Attisch glänzend handhabten. Viele bedeutende Schriftsteller des 2. Jahrhunderts und danach – darunter der philosophische Schriftsteller und Verfasser von Biographien Plutarch sowie der Reiseschriftsteller und Geograph Pausanias – bedienten sich der literarischen Koine. Gleichzeitig gab es immer wieder Attizisten, die grossen Einfluss auf die Literatursprache ihrer Zeit ausübten, wie z. B. Libaios, ein berühmter Rhetoriker des 4. Jahrhunderts. Vom Ende des 2. Jahrhunderts an wurde auch die immer mehr von der gesprochenen, lebendigen Sprache des Volkes abweichende Literatursprache verstärkt zurückgedrängt, bis sich nur noch die Kirche, einige Gelehrte und die Auftragsschreiber jener Zeit ihrer bedienten. Massgeblich an dieser Entwicklung beteiligt waren die Zerstörung der Bibliothek von Alexandria in den Bürgerkriegen des 3. Jahrhunderts und durch den römischen Kaiser Theodosius im Jahr 191 sowie die Schliessung der Athener Philosophieschulen durch den byzantinischen Kaiser Justinian im Jahr 529.

Mit dem Niedergang des Byzantinischen Reiches wurde sein Gebiet in kleine unabhängige Staaten aufgeteilt. Die literarische Koine, die auf die grossen kulturellen Zentren begrenzt war, entwickelte sich nicht mehr weiter. Die volkstümliche Variante zersplitterte in zahlreiche lokale Dialekte, die sich unter dem Einfluss der im Vorderen Orient umherziehenden Volksstämme – z. B. der Venezier, Türken, Bulgaren und Albanier – noch weiter veränderten. Der Balkan verlor allmählich den Anschluss an die zukunftsweisenden See- und Handelsunternehmungen Westeuropas, die sich immer stärker auf die Neue Welt konzentrierten.

Ein Merkmal des Altgriechischen, einer flektierenden Sprache, ist das komplexe Konjugations-, Deklinations-, Tempus- und Aspektsystem, das sich während der Entwicklung zum Neugriechischen zunehmend vereinfacht. Das Altgiechische verfügt über fünf Kasus (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ und Vokativ). Die Konjugation ist geprägt durch die Markierung der Aktionsart, d. h. die Art und Weise, welchen Verlauf eine Handlung nimmt. Eine in anderen Sprachen völlig unbekannte Verbalform ist beispielsweise der Aorist, eine Vergangenheitsform, die bei punktuellen abgeschlossenen Handlungen verwendet wurde. Man unterscheidet die Tempora Präsens, Perfekt, Futur, Perfektfutur, Imperfekt, Aorist und Plusquamperfekt, die Satzmodi Indikativ, Imperativ, Konjunktiv und Optativ sowie die Genera verbi Aktiv, Passiv und Medium. Das vielfältige Flexionssystem erlaubt eine freie Wortstellung. Weitere Kennzeichen sind der musikalische Akzent, bei dem der Hauptton nur auf einer der letzten drei Silben eines Wortes liegen kann, oft auf der letzten Silbe. Wie das Deutsche verfügt das Altgriechische in der Wortbildung über eine ausgeprägte Leichtigkeit zum Hervorbringen von Komposita (zusammengesetzter Wörter).

Neugriechisch

Während der byzantinischen Periode und in den Jahren türkischer Herrschaft entwickelte sich die griechische Hochsprache nicht weiter. In der Hauptsache wurden Hagiographien, theologische Werke und religiöse Dichtung verfasst. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts bildete sich mit den Anfängen eines nationalen Bewusstseins ein aufstrebendes griechisches Bürgertum heraus. Bis circa 1880 wurde das Bürgertum jedoch vor allem von Reedern und umherreisenden Kaufleuten angeführt, die ausserhalb Griechenlands in den griechischen Niederlassungen lebten und sich sprachlich und kulturell an einem idealisierten athenischen Erbe orientierten. In Griechenland selbst, in dem weiterhin die Türken herrschten, wurden die Energien der Menschen von den revolutionären Bestrebungen zur Erlangung der nationalen Unabhängigkeit aufgezehrt. Im 19. Jahrhundert hatten die nunmehr freien Griechen dringendere Sorgen als die Pflege ihrer Sprache. Ergebnis war, dass sich in der jungen Nation keine einheitliche Sprache herausbildete.

Um die Volkssprache noch besser in der Erziehung und zur allgemeinen Verständigung einsetzen zu können, bemühten sich im späten 19. Jahrhundert griechische Gelehrte und Schriftsteller um ihre Systematisierung. Nach der Bezeichnung Demotike für die Volkssprache wurden die führenden Persönlichkeiten dieser starken Bewegung Demotikisten genannt. Bekannte Verfechter waren der Dichter Dionysios Solomos und der französische Philologe griechischer Abstammung Jean Psichari. Die wichtigsten Ergebnisse der Bewegung waren die Erarbeitung einer Grammatik dieser Volkssprache und die Produktion zahlreicher literarischer Werke, die die Errungenschaften, das Leben und die Bräuche der einfachen Menschen zum Inhalt haben. Auch im heutigen Griechenland schreiben die meisten Romanciers und Dichter in dieser Sprache.

Gegner der Demotikisten waren die Puristen, Anhänger der Katharevussa, eines gereinigten Griechisch. Diese Gelehrten beabsichtigten in erster Linie, dem griechischen Volk das antike kulturelle Erbe wieder bewusst zu machen. Sie schenkten der weit verbreiteten geschriebenen und gesprochenen Volkssprache keinerlei Beachtung, sondern propagierten eine elegante, gelehrte, künstliche Sprache, die sich eng an das Griechisch der Antike anlehnte und abgehoben von der Sprache des Alltags war. Zur Pflege der Katharevussa empfahlen sie das Studium der antiken Schriftsteller, vor allem der traditionellen Stilisten und Dichter. Zu den führenden Gelehrten dieser Bewegung zählten mehrere Professoren für Philologie an der Universität Athen. Als Ergebnis ihrer Kampagne führten verschiedene diktatorische Regierungen die Katharevussa als Amtssprache ein, doch 1975 wurde durch Parlamentsbeschluss auch die Demotike endgültig als Amtssprache anerkannt. Sie wird seitdem von der Regierung, allen Zeitungen und den meisten Universitätsprofessoren verwendet.

Die puristische und die volkstümliche Form des Neugriechischen unterscheiden sich hauptsächlich dadurch, dass erstere in Grammatik, Orthographie und Wortschatz dem Altgriechischen viel näher steht. Phonetisch sind beide völlig gleich; vom Altgriechischen weichen sie insofern ab, als sie für hervorgehobene Silben statt der Tonhöhe die Tonstärke verwenden und Vokale und Diphthonge anders aussprechen. So wird z. B. im Neugriechischen der Diphthong oi in anthropoi („Menschen") als einfacher Vokal, wie ein deutsches langes i, ausgesprochen.

Die wichtigsten grammatikalischen Unterschiede zwischen Alt- und Neugriechisch sind in der Deklination und Konjugation zu finden. Neugriechisch (Demotike und Katharevussa) hat in der Deklination gegenüber dem Altgriechischen zwei Formen aufgegeben: den Dualis, eine Form, die anzeigt, dass sich ein Substantiv, Pronomen oder Adjektiv auf zwei Personen oder Dinge bezieht, und den Dativ, der nur noch in einigen idiomatischen Wendungen vorkommt. Der Dualis ist auch aus der Verbkonjugation verschwunden, ebenso wie der Optativ, ein Modus, der im Altgriechischen Zweifel oder Wunsch ausdrückte, und der Infinitiv. Die Funktion, die im Altgriechischen die besonderen Verbformen für die verschiedenen Zeiten hatten, übernehmen im Neugriechischen Hilfsverben. Die altgriechischen Imperative sind weitgehend durch die Konstruktion eines Hilfsverbs mit dem Konjunktiv ersetzt worden.

Der Wortschatz der neugriechischen Volkssprache zeichnet sich durch seine Vielzahl an Lehnwörtern aus, die direkt aus anderen Sprachen, vor allem Italienisch, Türkisch und Französisch, übernommen wurden. Daneben fällt es im Neugriechischen auch leicht, Wörter zu Komposita zu verbinden. Die Puristen meiden jedoch die Übernahme von Wörtern aus Fremdsprachen. Wenn neue Wörter für neuartige Phänomene benötigt werden, prägen sie diese nach dem Muster altgriechischer Vokabeln, wobei die Bewahrung der alten Formen und Wendungen oberste Priorität hat.

 

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